Befragungen zur digitalen Barrierefreiheit aus Lehrenden- und Studierendenperspektive

Hintergrund

Die fortschreitende Digitalisierung der Hochschullehre bietet die Chance, Barrieren für Studierende mit studienrelevanten Beeinträchtigungen zu reduzieren, sofern digitale Barrierefreiheit systematisch in die Gestaltung digitaler und digital-unterstützter Lernangebote einfließt (Bender et al., 2022). Digitale Barrierefreiheit meint die uneingeschränkte Nutzbarkeit digitaler Angebote unabhängig von individuellen Voraussetzungen (Bender et al., 2022). Obwohl Hochschulen rechtlich zur Umsetzung verpflichtet sind (BGG; BITV 2.0; EU-Richtlinie 2016/2102), bleibt diese bislang häufig auf Einzelmaßnahmen begrenzt und insgesamt wenig fortgeschritten (Hochschulforum Digitalisierung, 2021).

Zielsetzung

Ziel der im SOUVER@N-Projekt durchgeführten Befragung war es, bestehende Bedarfe, Herausforderungen und Verbesserungspotenziale im Bereich der digitalen Barrierefreiheit zu ermitteln und das Bewusstsein für dieses Thema in der Hochschullandschaft zu stärken.

Stichprobe

Die Datenerhebung fand von März bis Mai 2025 in digitaler Form unter Nutzung eines teilstandardisierten Fragebogens statt. An den Befragungen haben 233 Lehrende und 218 Studierende der acht niedersächsischen Hochschulen des SOUVER@N-Verbundes teilgenommen.

 

Ausgewählte Ergebnisse

Kenntnisse im digitalen Kontext

Lehrende schätzen ihre allgemeine Medienkompetenz tendenziell als hoch ein: Knapp 97 % bewerten sie mindestens als mittelmäßig, mehr als 60 % sogar als hoch oder sehr hoch. Deutlich geringer fallen dagegen die selbsteingeschätzten Kenntnisse zur digitalen Barrierefreiheit und zur barrierearmen Materialgestaltung aus. So stufen über die Hälfte der Befragten ihre Kompetenzen zur barrierearmen Materialgestaltung als sehr gering oder gering ein.

Studierende schätzen ihre individuellen Kenntnisse zur digitalen Barrierefreiheit im Mittel noch niedriger ein als die Lehrenden.

Basierend auf den Ergebnissen einer zusätzlichen Frage zur Vertrautheit mit spezifischen Maßnahmen digitaler Barrierefreiheit lassen sich die Kenntnisse der Lehrenden zum Thema digitaler Barrierefreiheit weiter differenzieren.

Am stärksten sind Lehrende vertraut mit grundlegenden Prinzipien digitaler Barrierefreiheit. Dazu gehören:

  • Nutzung serifloser Schriften und angemessener Schriftgrößen
  • Kontrastreiche Farbgestaltung und Vermeidung von Rot-Grün-Kombinationen
  • Aufzeichnung von Vorlesungen und Seminaren

 

Kenntnisse zu weitergehenden Anforderungen digitaler Barrierefreiheit sind hingegen deutlich geringer ausgeprägt. Dazu zählen insbesondere:

  • Untertitelung auditiver Inhalte
  • Bereitstellung von Materialien, die von assistiven Technologien wie Screenreadern zuverlässig erfasst werden können
  • Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache bzw. lautsprachbegleitende Gebärden

 

Rolle digitaler Barrierefreiheit in der tatsächlichen Lehrgestaltung und Relevanz für Studierende

Bei der Mehrheit der Lehrenden spielt Barrierefreiheit in der Gestaltung der eigenen digitalen bzw. digital-unterstützten Lehre bislang kaum eine Rolle: Über 85 % geben an, dass sie bisher überhaupt keine oder nur eine geringe Bedeutung hat, während lediglich knapp 14 % ihr eine große oder sehr große Bedeutung beimessen.

Studierende bewerten eine barrierefreie Gestaltung digitaler bzw. digital-unterstützter  Lehre hingegen tendenziell als durchaus relevant: Für mehr als die Hälfte ist eine barrierefreie Gestaltung persönlich bedeutsam (Kategorien „relevant“, „eher relevant“ und „sehr relevant“) – wobei eine mögliche Stichprobenverzerrung zu berücksichtigen ist, da vermutlich insbesondere jene Studierenden an der Befragung teilgenommen haben, die selbst auf barrierefreie Lehrangebote angewiesen sind und mit dem Thema bereits vertraut sind. Doch auch insgesamt, unabhängig von der persönlichen Relevanz, halten 95 % der Studierenden eine barrierefreie Gestaltung digitaler bzw. digital-unterstützter Lehre im Allgemeinen für eher oder sehr relevant.

Die Studierenden wurden in diesem Zusammenhang zudem zu wahrgenommenen Handlungsbedarfen hinsichtlich digitaler Barrierefreiheit in verschiedenen Bereichen befragt. Im Bereich der Gestaltung von Lernmaterialien sehen sie insbesondere einen hohen Handlungsbedarf in Bezug auf Audiodeskription, die Bereitstellung von Transkripten sowie Untertitelung.

Insgesamt zeigt sich damit, dass die aus Studierendenperspektive empfundene hohe Relevanz barrierefreier digitaler bzw. digital-unterstützter Lehre bislang nicht in der tatsächlichen Lehrgestaltung durch die Lehrenden widergespiegelt wird.

 

Hürden bei der Umsetzung digitaler Barrierefreiheit

Im Hinblick auf die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit wurden die Lehrenden zudem danach gefragt, welche Hürden sie als bedeutsam wahrnehmen. Besonders häufig genannt wurden mangelnde zeitliche Ressourcen: Über 75 % erachteten diese als eher oder voll und ganz zutreffend. An zweiter Stelle folgten fehlende Handlungsempfehlungen seitens der Hochschule, die von 58 % als hinderlich eingestuft wurden, sowie mangelnde eigene Kenntnisse, die über 55 % als relevante Hürde bezeichneten. Verglichen mit allen abgefragten Aspekten stellt eine fehlende Motivation der Lehrenden die geringste Hürde dar.

 

Fazit

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass digitale Barrierefreiheit in der Hochschullehre bislang nur in begrenztem Umfang umgesetzt wird. Lehrende verfügen zwar über grundlegende medienbezogene Kompetenzen, jedoch bestehen deutliche Wissenslücken im Hinblick auf spezifische Anforderungen digitaler Barrierefreiheit. Zeitliche Ressourcen sowie fehlende Handlungsempfehlungen werden dabei als zentrale Hürden wahrgenommen.

Demgegenüber betonen Studierende die Relevanz barrierefreier digitaler Lehrangebote deutlich stärker und identifizieren bspw. bei der Gestaltung von Lernmaterialien weiteren Handlungsbedarf. Insgesamt wird damit sichtbar, dass zwischen der wahrgenommenen Bedeutung digitaler Barrierefreiheit aus Studierendenperspektive und ihrer tatsächlichen Umsetzung in der Lehre weiterhin eine erhebliche Diskrepanz besteht.

 

Ein Beitrag von Aleksandra Bartkowiak, Patricia Dammann, Selin Dirlik und Franziska Haverland

Stand: Dezember 2025